Nahe - Die Facettenreiche

Widersprüchlicher als die Mosel präsentiert sich das Weinbaugebiet der Nahe dem Betrachter. Noch bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts waren die Weine aus Bad Kreuznach, Schlossböckelheim, Niederhausen oder Dorsheim - die Weinbauregion der Nahe, wie sie sich heute darstellt, wurde erst mit dem Weingesetzt von  1971 geschaffen - mindestens ebenso berühmt und begehrt wie die des benachbarten Rheingaus. Nach dem zweiten Weltkrieg konzentrierte sich dann auch diese Region fast vollständig auf Massenproduktion, verdoppelte ihre Anbauflächen, indem selbst weniger geeignete Flach- und Tallagen bestockt wurden, und suchte ihr Heil in der Produktion von Verschnittweinen für die berühmtberüchtigte Liebfrauenmilch und die anderen, oft noch fragwürdigeren Exportschlager des deutschen Nachkriegsweinbaus.

Ähnlich wie im benachbarten Rheinhessen dominierte die „Massenhysterie" schnell das gesamte Weinbaupanorama des Gebiets, das nicht zufällig an seiner südlichen Grenze so nahtlos in die Rebfelder des rheinhessischen Hinterlands übergeht, dass die Grenze für den unbefangenen Beobachter kaum sichtbar ist. Resultat dieser Entwicklung ist die in Deutschland fast einzigartige Tatsache, dass an der Nahe zwar einzelne Güter eine hohe Reputation besitzen, sogar zu den besten des Landes zählen können, die Nahe als Gesamtregion jedoch im Gegensatz zu Mosel, Pfalz, Rheingau oder Franken einem breiteren Publikum fast unbekannt ist oder zumindest profillos erscheint.


EXPORTWEINE UND KRISE

Um den Wünschen der Verbraucher entgegenzukommen, kelterte man hier lange Zeit nur geringe Mengen trockener oder halbtrockener Weine, obwohl gerade in diesem Bereich eine der Stärken des Anbaugebiets liegen könnte. Das milde Klima und die vielen unterschiedlichen Bodenformationen bieten vor allem dem Riesling, der mehr als ein Viertel der Weinbergfläche von gut 4 500 Hektar belegt, einen idealen Nährboden, auf dem er seinen ganzen Facettenreichtum ausspielen kann. Die übrigen Sorten, wie zum Beispiel der Müller-Thurgau, der flächenmäßig dem Riesling mit nur geringem Abstand folgt, oder auch Silvaner, Kerner, Scheurebe und Grauburgunder, haben sich dagegen bislang keine eigenständiges Profil erarbeiten können und gehen meist in der Anonymität der Massenmarken unter.

Solange die Tankwagen mit Liebrauenmilch und ähnlichen „Kostbarkeiten" noch in regelmäßigem Abstand in alle Welt rollten, konnte dieser Mangel an Image und Eigenständigkeit dem Weinbau der Region nicht viel schaden. So war zumindest die gängige Auffassung, doch das seelenruhige Baden im süßlichen Erfolg sollte sich nicht auszahlen. Denn spätestens mit der Preiskonkurrenz durch die Überseeländer, die sich rechtzeitig auf den wandelnden Verbrauchergeschmack eingestellt hatte, mussten diese Marken auf den Weltmärkten Einbußen hinnehmen. Die Folge waren wirtschaftliche Schwierigkeiten, unter denen man an der Nahe noch mehr als anderswo zu leiden scheint. Die größten Winzergenossenschaft des Gebiets müsste so erst kürzlich ihre Eigenständigkeit aufgeben und unter das schützende Dach der Moselland-Genossenschaft einkehren, und auch die staatliche Weinbaudomäne in Niederhausen-Schlossböckelheim überlegte die Krise nicht.


DENNOCH SPITZENWEINE

Umso mehr muss man die Anstrengungen und den Mut einer kleinen Gruppe von Spitzenwinzern innerhalb des regionalen VDP-Verbandes bewundern, die in ihrer Produktion heute wieder auf absolute Qualität setzt und auch in der Diskussion um eine Lagenklassifizierung die Vorreiterrolle übernahm. Es ist auch ihnen per Weingesetzt nicht gestattet, Bezeichnungen wie „Erste Lage" oder „Grand Cru" auf ihre Etiketten zu setzen, doch sie führten im Rahmen einer freiwilligen Selbstkontrolle ihrer Mitglieder die Bestimmung ein, dass nur intern klassifizierte und für gut befundene Lagennamen auf den Etiketten erscheinen dürfen, während der gesamte Rest der Produktion als einfacher Gutswein angeboten werden muss. Auf eine Nennung der in die Kritik geratenen Großlagennamen verzichten sie bei ihren Weinen gleich gänzlich.

Das Potential für Spitzenweine bietet die Nahe dabei allemal, wobei sich die Weincharakteristika in den drei bedeutendsten Subregionen, der oberen Nahe, der Gegend um Bad Kreuznach und schließlich der unteren Nahe, deutlich voneinander unterscheiden.

Steile Felswände, die nur wenig Platz für die Weinreben lassen, prägen das Bild am Nahelauf oberhalb von Bad Kreuznach. Die Porphyrformationen und der Fluss bilden hier gleich zwei wertvolle Wärmespeicher, die den Trauben die notwendigen Reifebedingungen sichern und den Weinen ihren typisch filigranen Fruchtcharakter verleihen. Weinbauzentren mit den anerkannt besten Weinbergflächen sind Schlossböckelheim, Niederhausen und Traisen. Und Lagennamen wie Traisener Bastei, Niederhausener Herrmannshöhle und Hermannsberg, die Überhäuser Brücke oder auch der Schlossböckelheimer Felsenberg sind wohl klingende Referenzen.

Ganz anders sind die natürlichen Gegebenheiten in und um Bad Kreuznach: Hier beherrschen tiefgründige schwere Böden die Lagen, die Weine zeigen einen dichteren, kräftigeren Stil, der in seinem Gesamtausdruck deutlich südlicher wirkt. Kreuznacher Brückers, Krötenpfuhl und Kahlenberg sind die besten Lagen, aber leider scheinen die meisten der einst so berühmten Weinguter der Stadt in den letzten Jahren den Anschluss an den qualitativen Aufschwung in der Region schlichtweg verschlafen zu haben.

Interessant wird es erst wieder an der unteren Nahe und in ihren Seitentälern. Der Fluss, der hier in nördlicher Richtung geradewegs dem Rhein zufließt, wird an seinem östlichen Ufer schon von den weiten Rebfeldern Rheinhessens begleitet, während sich die Hanglagen des Nahegebiets an seinem westlichen Ufer ein wenig hinter Hügeln, Dörfern und Kirchtürmen verstecken. Vor allem die Seitentäler mit ihren sonnenbeschienenen Südlagen bieten dem Riesling hier optimale Voraussetzungen, wie dies die Dorsheimer Lagen Pittermännchen und Goldloch oder auch die Münsterer Pittersberg und Dautenpflänzer mit Brillanz vorführen. Auch hier herrscht aber im Weinstil von Dorf zu Dorf, Lage zu Lage und vor allem Winzer zu Winzer noch eine enorme Variationsbreite, wobei die Rieslinge mal in Richtung Mosel, mal in Richtung des benachbarten Mittelrheins tendieren können. Die unter den Spitzenwinzern der Region viel diskutierte Frage, ob die Weine der unteren Nahe ihre ideale Ausprägung eher im trockenen oder doch mehr in rest-beziehungsweise edelsüßen Bereich finden, wird wohl erst die Zukunft beantworten könne.  

(entnommen aus dem vorzüglichen und umfangreichen Werk „Wein" vom André Dominé aus dem Jahre 2000, in Teilen zitiert)


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Hans Crusius trocken, Nahe, Literflasche, Dr. Crusius, Wein Deutschland
Dieses Cuvée aus Riesling, Müller-Thurgau, Weißburgunder und Auxerroir gefällt mit belebenden tropischen Fruchtnoten und einer angenehmen Säure. Ein Alltagwein auf hohem Niveau.  

Riesling Spätlese trocken, Traiser Rotenfels, Nahe, Dr. Crusius, Wein Deutschland
Das Attribut rassig trifft auf diesen Riesling wirklich zu. Aus dem Glas steigt ein klarer, frischer Duft mit feinen Fruchtnoten, die an weisse Pfirsiche erinnern. Diese finden sich geschmacklich auf der Zunge wieder,

Riesling Spätlese trocken, Schloßböckelheimer Felsenberg, Nahe, Weingut Schäfer-Fröhlich, Wein Deutschland
Dieser Wein ist ein Spiegelbild des warmen Porphyrbodens - filigrane kräutrige Aromen, unterstrichen von feinrassiger Fruchtsäure und tiefer Mineralität.

Bockenauer Weißer Burgunder "S" trocken, Nahe, Weingut Schäfer-Fröhlich, Wein Deutschland
Füllige Honigmelonenaromen, ein cremiger und komplexer Gaumen sowie eine dezente Säure - dieser exzellente Burgunder entstand durch extreme Traubenselektion...
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