Streifen

Italien

Italien zählt nicht nur zu den bedeutendsten Weinbaunationen Europas, neben Frankreich, es ist auch eines der ältesten Weinbauländer des Kontinents. Jüngere archäologische Funde weisen nun die Etrusker als die Ersten aus, die im 8. Jahrhundert v. Chr. In Italien systematisch Reben kultivierten, wohingegen sich die Griechen mit dem Ruhm begnügen müssen, von ihrer Kolonie Massilia (Marseilles) aus den Weinbau in Frankreich etabliert zu haben. Ältere Weinbauversuche sind anzunehmen, eindeutig nachweisen lassen sie sich bislang jedoch nicht. Mit dem Römischen Reich verbreitete sich in West- und Mitteleuropa nicht nur ein hoch entwickeltes Wissen um Weinbau und Weinbereitung, es waren auch die Römer, die den Weinhandel zu einem gewinnträchtigen Wirtschaftszweig ausbauten. Pompeji, die Hafenstadt am Vesuv, stieg zur bedeutendsten Weinhandelsmetropole in der antiken Welt auf, doch die Zerstörung der Stadt durch den Vulkanausbruch 79 n. Chr. begünstigte im ganzen Reich die Entstehung regionaler Weinzentren. Die damit verbundene Blütezeit des Weins mag dazu beigetragen haben, dass ein bereits 186 v. Chr. ausgesprochenes Verbot der mit rauschhaften Elementen durchsetzten Bacchanalien, der römischen Variante des griechischen Dionysos-Kultes, wenig gewissenhaft befolgt wurde. Mit dem Aufstieg des Christentums und bis zu dessen Anerkennung als Staatsreligion im 4. Jahrhundert wurde dann der Gebrauch von Wein im Rahmen einer kultischen Handlung zunehmend maßvoller.

Der Niedergang des Weströmischen Reiches 476 erforderte in Italien eine umfassende Neuorientierung, und die Unruhen der Völkerwanderung wirkten sich ungünstig auf alle Aktivitäten aus, die eine Generationen andauernde Sesshaftigkeit voraussetzen. Weinbau und Weinbereitung, besonders der Ausbau eleganter Weine, verloren ihren Status als lukrative Wirtschaftszweige. Als mit dem Erstarken der aufstrebenden  Handelsstädte Genua, Florenz oder Venedig und mit dem Wohlstand ihrer Bürger wieder ein Markt für edle Weine geschaffen war, entwickelte sich der Handel mit Weinen aus Bordeaux, aus dem Burgund, vom Rhein und von der Donau zum einträglichen Geschäft. Schon im 13. und 14. Jahrhundert etablierten sich einige der bis heute bekanntesten Namen der Weinwelt, darunter die Antinori, die mit dem Seidenhandel wohlhabend geworden waren, und die Frescobaldi, die den regen Warenaustausch zwischen Bordeaux und der englischen Krone finanzierten und in London für die Päpste Steuern eintrieben.
Während italienische Bankiers und Händler an Weinimporten gut verdienten, fiel der Weinbau des Landes in einem immer tieferen „Dornröschenschlaf" und überlebte nur in Form reiner Subsistenzwirtschaft der zum Teil extrem armen Landbevölkerung. In manchen Regionen Italiens ist die Rettung der Weinbautradition einzig den Klöstern zu verdanken. Es sollte noch bis ins 19. Jahrhundert dauern, bevor sich im Piemont und in der Toskana ein Neubeginn abzeichnete. Nach französischem Vorbild und unter aktiver Mitwirkung französischer Önologen wurden Weintypen wie Barolo, Brunello und Chianti entwickelt, die eineinhalb Jahrhunderte später zu den populärsten und besten Weinen der Welt zählen. Etwa zur gleichen Zeit entstanden die noch immer berühmten italienischen Weinbauschulen und Kellereien wie Gancia, Cinzano oder Bolla. Auch in Italien wäre es dem Reblausbefall beinahe gelungen, die aufstrebende Weinkultur zum Erliegen zu bringen, und die beiden Weltkriege des 20. Jahrhunderts trugen das Ihre dazu bei, die Entwicklung zu behindern. In den schwierigen Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg konnte sich dann im Weinbau eine Einstellung durchsetzen, die zur Anlage hochproduktiver Weinberge und zur Wahl der ertragreichsten statt der besten Rebsorten führte. Gefördert wurde diese Entwicklung zusätzlich von der französischen Weinindustrie, die nach dem Wegfall der Lieferungen aus der einstiegen Kolonie Algerien einen erhöhten Bedarf an italienischer Tankware zum Verschnitt mit den eigenen Tafelweinen entwickelte.


AUFSCHWUNG MIT HINDERNISSEN

In Italien kam dieser Tendenz zu immer höheren Erträgen die Tatsche entgegen, dass Wein bis in die Nachkriegsgeneration nicht als Genussmittel, sondern als wichtiger Kalorienlieferant galt. Erst in den 1960er Jahren begann sich das Konsumverhalten zu ändern. Der Pro-Kopf-Verbrauch der Italiener sank von ursprünglich mehr als 110 auf weniger als 60 Liter Wein jährlich.

Parallel dazu vollzog sich im Weinbau ein radikaler Wandel hin zu höherer Qualität, den auch der Skandal nicht behindern konnte, der Mitte der 1980er Jahre das ganze Land erschütterte: Eine Gruppe verantwortungsloser „Winzer" hatte Billigwein mit Methylalkohol „aufgebessert", und innerhalb weniger Wochen starben mehr als 20 Menschen nach dem Schluck aus der Doppelliterflasche.

Der Aufschwung hatte auch diesmal in der Toskana begonnen, wo eine ganz neue Kategorie von Weinen entstand: die Super-Tafelweine aus den bis dahin wenig verbreiteten französischen Rebsorten Cabernet Sauvignon, Merlot, Chardonnay oder Syrah, meist im kleinen Barrique-Fass aus neuem Eichenholz ausgebaut. Neue Winzer- und Kellermeistergenerationen orientierten sich in den 1970er und 1980er Jahren an Frankreich und an der Neuen Welt und versuchten, die Erkenntnisse im eigenen Land anzuwenden.

Kurz darauf, aber nicht minder radikal artikulierte sich im Piemont die Modernisierungsbewegung des Barolo und Barbera, die mit farbintensiveren, fruchtbetonteren Weinen den anspruchsvollen Geschmack des internationalen Publikums befriedigen sollten. Während diese Entwicklung zunächst hauptsächlich die Kellerarbeit betroffen hatte, verlagerte sich das Schwergewicht der Anstrengungen in den 1990er Jahren in die Weinberge. Alte, längst nicht mehr zeitgemäße Rebanlagen wurden gerodet und durch modernere, auf Qualität angelegte Erziehungssysteme ersetzt. Gleichzeitig wurde das Weingesetz zumindest teilweise den neuen Realitäten und den Anforderungen der internationalen Märkte angepasst. Eine neue Kategorie von Weinen, die der Tafelweine mit geografischer Herkunftsbezeichnung (Indicazione geografica tipica, Igt) entstand, und eine ganze Reihe einstiger Tafelweine konnte aufgrund der veränderten Produktionsvorschriften als Qualitätswein mit Herkunftsbezeichnung (Denominazione die Origine Controllata / e Garantita, DOC/ DOCG) vermarktet werden.

Schließlich machten sich Italiens Winzer daran, das immense, aber noch weitgehend ungenutzte Reservoir an einheimischen Sorten einer genaueren Würdigung zu unterziehen und erste Schritte zur Verbesserung des Bestandes in die Wege zu leiten. Hier liegt auch die große Herausforderung und Chance für eine Zukunft, in der die Mode der „internationalen" Rebsorten wieder abflauen könnte und sich der Verbraucher auf die Besonderheiten der einzelnen Weinländer und die Charakteristika ihrer Weine zurückbesinnt.

Entnommen dem vorzüglichen und umpfangreichen Werk "Wein" von André Dominé aus dem Jahre 2000, in Teilen zitiert.

Feedback