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Navarra - Die Liberale

Welche Bedeutung der Wein für die Römer in Navarra gehabt haben muss, bezeugt die Kellerei die man in der Nähe des Dörfchen Funes ausgegraben hat. Man schätzt die Kapazität der Anlage auf etwa 75 000 Liter. Im frühen Mittelalter konzentrierte sich die Weinbereitung auf die Klöster, die nach und nach entlang des Pilgerweges nach Santiago die Compostela entstanden. Wein und Brot wurden zudem  in den Hospitälern an die hungrigen und kranken Pilger verteilt. Die wirtschaftliche Bedeutung dieses Agrarzweiges erlangte ihren Höhepunkt, als der Herrschaftsbereich der Könige von Navarra von Bordeaux bis in die Rioja reichte und drei bedeutende Weinzentren einschloss. Damals kamen zum ersten Mal französische Rebsorten in die Region. Bis in die  1980er Jahre war Navarra vor allem für Rosados bekannt.

Rosé repräsentierte den Weinbau dieser Region, im Guten wie im Schlechten, wie kein anderer Wein. Schon im 17. Jahrhundert wurde hier Rosé gekeltert, aber der echte Rosado aus „weißgeherbsteten" Trauben ist wesentlich später entstanden. Die Dominanz der Rosados ist auf die massiven Garnacha-Pflanzungen nach der Reblauskatastrophe im ersten Viertel des 20. Jahrhunderts zurückzuführen. Daneben erzeugten die besten Bodegas Weine im klassischen Rioja-Stil-

Um dem Image des angenehmen, aber simplen und günstige Rosés zu entkommen, gestand die autonome Regierung Rioja ihrem Qualitätsweingebiet einen der liberalsten D.O.-Reglementierungen Spaniens zu, welche einen enormen Sortenfächer zuließ und den Weinbau praktisch überall da erlaubt, wo er klimatisch möglich ist.

Überzeugt von den Möglichkeiten, auch große Weiß- und Rotweine machen zu können, begannen einige Pioniere wie Juan Magana und die Familie Guelbenzu französische und spanische Qualitätssorten anzubauen. Einige wenige Bodegas wie die navarresische Weindynastie Chivite, deren jüngster Spross, Fernando Chivite, zu den Visionären unter den spanischen Önologen gehört, sowie die Weinforschungsanstalt E.V.E.N.A. unter Leitung des Önologen Javier Ochoa hatten die notwendige Vorarbeit dafür geleistet. So entstand in den letzten 20 Jahren ein Weinpanorama, welches an Individualität seinesgleichen sucht.

Die Vielfältigkeit der Weine des Qualitätsweingebietes Navarra ist zum Teil auf die unterschiedlichen klimatischen Bedingungen der fünf Unterzonen zurückzuführen. In vier von fünf Teilgebieten bauen Winzer Weißweine, Rosados, junge und fassgereifte Rotweine sortenrein und im Verschnitt aus. Das Einzige, was sie in der Regel gemeinsam haben, ist ein hoher Qualitätsstandard und eine von Individualismus geprägte Auffassung vom Weinmachen. Die Ausnahme macht die Baja Montana, die bislang so gut wie keine nennenswerten Flaschenweinerzeuger zählt. Dafür liefert sie viel Garnacha-Lesegut beziehungsweise Moste an Toperzeuger in den anderen Zonen. Der Trend geht eindeutig zu konzentrierten und fruchtbetonten Rotweinen. Sehr gelungen sind viele der Cuvées aus heimischen und französischen Sorten, aber auch sortenreine Tempranillos, Cabernet Sauvignons oder Merlots, die wohl zukunftsträchtigste Sorte, die auf hohem Niveau vinifiziert wird. Die meisten roten Navarra-Weine tendieren zu einer zunehmend kräftigeren Statur und haben den eher feinen, an klassische Riojas angelehnten Stil fast vollständig zurückgelassen. Einige der neueren Bodegas haben sehr tanninbetonte Rotweine entwickelt.

Tierra Estella nennt sich das nordwestlichste Anbaugebiet Navarras, an dessen Nordrand die klimatischen Bedingungen für den Weinbau sehr schwierig sind. Hier entstehen Weine mit fast mitteleuropäischem Charakter dank der atlantischen Wettereinflüsse, unter anderem hervorragende Chardonnays. Für Valdizarbe im zentralen Norden gelten ähnliche Bedingungen. Hier wachsen Weine mit feiner Frucht.

Baja Montana ist die östlichste Unterzone mit etwa 1,5 Prozent der Rebfläche. Hier entstehen hauptsächlich Rosados. Ribera Alta stellt das Zentrum des navarresischen Weinbaus dar, mit saftigen, extraktreichen Weinen, die eher von mediterranem Klima geprägt sind. Ribera Baja ist die südlichste Unterzone mit 30 Prozent der Rebfläche. Kräftige, ausdrucksvolle Weine mit intensiver Farbe wachsen auf extrem trockenen, sandig-kalkhaltigen Böden. Insbesondere in diesem Teilgebiet haben die Winzer die Möglichkeiten alter Garnacha-Rebgärten wiederentdeckt. Und im Weinangebot der Bodegas erscheinen sortenreine Garnacha-Rotweine. Sein Augenmerk sollt man vor allem auf die Crianzas dieser spanischsten aller Rebsorten richten.

(entnommen aus dem vorzüglichen und umfangreichen Werk „Wein" vom André Dominé aus dem Jahre 2000, in Teilen zitiert)

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