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 Champagner ist der belebende und erotische...

Champagne

Champagner ist der belebende und erotische Prickler, das anekdotenumwobene Elite-Getränk, der Qualitätsschaumwein schlechthin. Von Ludwig XV. zu den Zaren, von Churchill zum englischen Königshaus, vom Siegerpodest der Formel Eins zu den Börseneinführungen an der Wall Street - der Schaumwein des nördlichsten Weinbaugebiets der Grande Nation ist immer dabei. Wie kein zweiter Wein hat er es geschafft, seine Herkunftsbezeichnung zum Markenbegriff zu etablieren, mit dem höchstes Prestige - und höchste Preise! - fast untrennbar verbunden scheinen. Auch wenn mit dem spanischen Cava, dem italienischen Franciacorta, mit kalifornischen oder australischen Produkten zunehmend ernst zu nehmende Konkurrenten auftauchten, nimmt das erste Herkunftsgebiet der Welt, das sich ausschließlich auf die Herstellung flaschenvergorener Schaumweine spezialisierte, immer noch die unumstrittene Poleposition in der Welt ein, auch wenn sein Anteil an der Produktionsmenge der Kategorie heute weniger als zehn Prozent beträgt. Der Name des Weinbaugebiets nordöstlich der französischen Hauptstadt - im Mittelalter zählte auch die heutige Ile de France samt Paris dazu - leitet sich vom lateinischen campus ab und bezeichnet das Weinbau- und Ackerland entlang des Marne-Tals, dessen Weinbauteil, die "Champagne viticole", bereits 1972 durch ein Dekret des INAO in seiner geografischen Ausdehnung definiert und festgelegt wurde. In der Region um die beiden Zentren Reims und Épernay, schon früh in der Geschichte Kreuzungspunkt wichtiger Handelsstraßen von Nord nach Süd und Ost nach West und deshalb immer von großem Wohlstand gesegnet, ist Weinbau bereits seit dem 5. Jahrhundert nachweisbar, auch wenn die Spezialisierung auf Schaumwein erst wesentlich später erfolgte.

DOM PÉRIGNON UND SEINE ERBEN

Einen einheitlichen "Vin de Champagne", der aber noch vorwiegend still ausgebaut wurde und nur gelegentlich in der Flasche moussierte, kannte man vom 17. Jahrhundert an, und die leicht rosé-gekeltert wurden, genossen bereits eine gewisse Beliebtheit in den Salons der Londoner Gesellschaft. Ab der zweiten Hälfte dieses Jahrhunderts war der Wein der Champagne einschneidenden Veränderungen unterworfen, die aus ihm das flaschenvergorene, perlende Produkt machten, als das er heute bekannt ist.
Der Grundstein dieser Entwicklung wurde vom berühmten Abt des Klosters Hautvillers, Dom Pérignon, gelegt, der zwar nicht, wie häufig behauptet wird, den Champagner in seiner heutigen Form erfunden hat, doch vor alle bezüglich der Sortenwahl - er war der Erste, der hier einen vollwertigen Rotwein kelterte, aber auch der Erste, der aus roten Trauben einen echten Weißen presste -, der Weinbergstechniken und der Zusammenstellung von Cuvées aus verschiedenen Sorten und Lage Revolutionäres leistete. Durch die von ihm initiierte Verwendung stärkerer Glasflaschen mit Korkverschlüssen, die höheren Druck aushielten, wurde es möglich, moussierende Produkte zu füllen und zu exportieren.

Die Produktion dieses perlenden Champagners betrug noch bis ins 19. Jahrhundert kaum mehr als weinige tausend Flaschen im Jahr. Erst einem Kellermeister der berühmten Witwe Clicquot war es zu verdanken, dass sie durch die Erfindung des Rüttelpults und die exakte Dosierbarkeit der liqueur de tirage für die zweite Gärung in industrielle Dimensionen vordringen konnte. Der eigentliche wirtschaftliche Erfolg stellt sich ab Mitte des 19. Jahrhunderts mit einer Gruppe junger Deutscher namens Krug, Bollinger, Röderer und Deutz ein, deren Namen noch heute die Elite der Champagnerindustrie bilden. Sie verdrängten damals schnell den Großteil der einheimischen Firmen aus dem Markt und übernahmen das Regiment in Reims und Umgebung.
Der Erfolg überdauerte Weltkriege und Besitzerwechsel - fast jede vierte Flasche Champagner kommt heute aus einer der Kellereien der Gruppe Louis Vuitton Moet Hennessy, der so berühmt Marken wie Veuve Clicquot-Ponsardin, Krug, Pommery, Ruinart, Moet & Chandon und Canard-Duchène gehören - und kulminierte im Verkauf von 300 Millionen Flaschen Champagner im Millenniums-Jahr. Dass diese beispiellose Entwicklung möglich wurde, beruht auf einer einzigartigen Konstellation vom Klima, Böden und Rebsorten, aber auch auf weinbaupolitischer Weitsicht und Disziplin, die sich über die Jahrhunderte hinweg zu einer der homogensten Appellationen der Welt formierten.
Sichtbarster Ausdruck dieser Geschlossenheit war das lange gültige Preissystem für die Traubenlieferungen der Winzer an die Kellereien, die früher kaum eigenen Weinbergbesitz hatten. Jahr für Jahr wurden diese Preise in Verhandlungen ermittelt und für die gesamte Region einheitlich festgeschrieben. Diese Kommission wurde nach dem Zusammenbruch der Märkte in den 1920er Jahren geschaffen. In der Folge entstanden auch die ersten Genossenschaften. Daneben nahm eine Reihe von Winzern die Versektung selbst in die Hand und sorgt bis 1990 für eine relative Marksicherheit bei den Winzern und Kellereien.

(entnommen aus dem vorzüglichen und umfangreichen Werk "Wein" vom André Dominé aus dem Jahre 2000, in Teilen zitiert)

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