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 Sizilien ist eine Insel der Widersprüche:...

Sizilien

Sizilien ist eine Insel der Widersprüche: Sie teilt sich mit Apulien die Spitzenstellung hinsichtlich italienischer Rebflächen und Erntemengen - auf 150.000 Hektar werden im Schnitt neun bis zehn Millionen Hektoliter Wein erzeugt -, hat aber mehr als die anderen Regionen Süditaliens ihr Potential für die Erzeugung wirklicher Spitzenweine entdeckt. Die natürlichen Voraussetzungen dafür könnten nicht besser sein: Sonne, Wärme und geringe Niederschläge sorgen für optimale Reifebedingungen, die kargen Böden für ausdrucksvolle Weine, wobei die bis zu 900 Meter hoch gelegenen Hänge des Berglands besonders elegante, aromabetonte Weine hervorbringen. Schon bei den griechischen Siedlern der Antike war Sizilien für seine landwirtschaftlichen Produkte und seine Weine berühmt. Weinreben hatten die Phönizier hier heimisch gemacht, doch die Griechen brachten neben Weinbergtechniken und neuen Rebsorten wie den Grecanico auch Mythen und Götter aus ihrer Heimat mit. Selbst die von ihrer Insel Lesbos vertriebene Dichterin Sappho soll hier Wein angebaut haben, und den Römern galt sizilianischer Wein später als willkommene Abwechslung zum berühmten Falerner.
Noch Jahrhunderte später unter der Herrschaft der Araber erlitt die Weinkultur der Insel keinen wirklichen Rückschlag, denn die neuen Machthaber duldeten den Weinbau nicht nur - im Widerspruch zu den Alkoholverboten des Korans -, sie führten sogar die Technik des Destillierens und den dazu notwendigen Brennkolben hier ein. Das ganze Mittelalter hindurch brannten vor allem Mönche die geheimnisvollen Lebenswässer, mit denen sie ihren Reichtum aus weiten Ländereien und einer ertragreichen  Landwirtschaft noch vergrößerten. Sizilien war damit einer der wenigen Teile Italiens, in denen die Weinbautradition auch in den Jahrhunderten des sozialen und politischen Niedergangs äußerst lebendig blieb.

KRISE TROTZ MARSALA

Erst als spanische Vizekönige die Herrschaft in der Region übernahmen, begann der Stern des sizilianischen Weinbaus zu sinken. Statt Wein baute man nun Getreide an, und erst Ende des 18. Jahrhunderts verhalf der Engländer John Woodhouse, der in Marsala eine Alternative zum teuren Sherry entdeckt hatte, der Weinwirtschaft Siziliens wieder zu neuer Hoffnung. Leider blieb die Insel trotz ihrer isolierten Lage nicht von der Reblaus verschont, und auch der Ruhm des edlen Marsala verblasste wieder. Heute ist Trapani im Westen mit einer Jahresproduktion von 4,5 Millionen Hektolitern größte Weinbauprovinz der Insel und beherbergt mit dem DOC-Gebiet des Marsala auch die noch immer bekannteste Herkunftsbezeichnung. Große zusammenhängende Gebiete mit Weinkulturen gibt es daneben an der Süd- und der Nordküste, während im Osten, sieht man vom Gebiet des Ätna ab, überwiegend Tafeltrauben produziert werden.
Einige der interessantesten sizilianischen Weine, die den einstigen Ruf der Insel als Süßweinproduzent rechtfertigen, stammen nicht von der Hauptinsel, sondern von den Liparischen Inseln im Nordosten - dazu zählt auch der Vulkan Stromboli - und von Pantelleria auf halbem Weg zwischen Sizilien und dem tunesischen Festland. Aus den Sorten Malvasia ( Lipari) und Zibibbo alias Muscat of Alexandria (Pantelleria) werden hier diverse Dessertweine gekeltert, die sich bei italienischen Weinfreunden großer Beliebtheit erfreuen und sogar im Ausland erste Erfolge feiern.

Die Initialzündung für diese Wiederbelebung alter Traditionen ging von Carlo Hauner aus - er hatte schon in den 1980er Jahren mit seinem Malvasia delle Lipari für Aufsehen gesorgt - und basierte auf einer lokalen Malvasia-Spielart wie auf dem ebenfalls einheimischen Corinto Nero. Sein Beispiel machte kaum Schule, was sicherlich mehr am nur marginalen Weinbergbestand auf Salina und den Nachbarinseln als am fehlenden Willen der wenigen Inselwinzer lag.

Konsistenter und inzwischen in großer Breite auf hohem Niveau zeigt sich der Moscato di Pantelleria, in den auch einige Produzenten der Gegend um Marsala investierten. In der süßen Passito-, aber auch in der angereicherten Liquoroso-Version wird er inzwischen zu den besten Süßweinen des Landes gerechnet.

INVESTITION IN WEISS UND ROT

Die eigentliche Revolution der 1990er Jahre fand im Weiß- und Rotweinbereich statt. Abgesehen von den wenigen gelungenen Versuchen mit Cabernet- und Chardonnay-Weinen, bedienten sich die Protagonisten des neuen Trends dabei des großen Angebots einheimischer Sorten, von denen einige mit der Zeit bewiesen, dass sie zu viel mehr als jener billigen, anonymen Massenware taugten, zu der sie jahrzehntelang verarbeitet worden waren. Bei den Weißweinen kommt diese Rolle der Inzolia alias Ansonica vielleicht auch noch dem Grecanico Dorato zu, während Grillo sich mit wenigen Ausnahmen nur für die Marsala-Produktion eignet und Cataratto-Weine meist ausdruckslos und dünn wirken.

Allerdings zeigt gerade der Alcamo, ein Weißwein des mit mehr als 20 000 Hektar größten DOC-Gebiets Siziliens, dass bei entsprechender Ertragsbegrenzung und Pflege auch aus dieser Massensorte angenehme, volle, trockene Weiße erzeugt werden können, die hervorragend zu den Fischgerichten und Antipasti der Region munden.

Bei den Rotweinen beweis der Nero d`Avola alias Calabrese gutes Potential, und die farbintensiven, dichten Gewächse, die seit Mitte der 1980er Jahre daraus gekeltert werden, zeigen mindestes ebenso hohe Qualitäten wie die aus Aglianico  auf dem Festland. In den letzten Jahren kamen zudem noch sehr gute, vielversprechende Weine aus Frappato und Nerello Mascalese auf den Markt. Insbesondere der Frappato, der an der Südostecke Siziliens die Basis für den Cerasuolo di Vittoria stellt, entspricht mit seinen kirschartigen Fruchtaromen dem Bild moderner Rotweine, wie sie auf den internationalen Märkten gefragt sind. Im Unterschied zu Apulien oder Kampanien ging der Trend zu hochwertigen Qualitäten nicht von kleineren Winzerbetrieben aus - man muss wissen, dass von den mehr als 100 000 Weinbaubetrieben der Region nur etwa 120 ihre Produkte selbst abfüllen und vermarkten -,  sondern zumeist von großen Kellereien und sogar von der größten Genossenschaft der Region in Menfi, am Südrand der Insel. Verstärkt wurde diese Tendenz durch die jüngsten Investitionen großer Kellereigruppen in Weinberge und Kellereistrukturen, die dem Vertrauen Ausdruck verleihen, das Italiens Weinwirtschaft in sein einstiges Sorgenkind setzt.

SIZILIANISCHER MARSALA

Seine größten Erfolge im Weinbau verdankt Sizilien dem Marsala, einem angereicherten Wein, der wie durch Zufall von einem jungen Engländer entdeckt wurde. 1770 hatte es John Woodhouse, einen Kaufmannssohn aus Liverpool, in den Hafen Marshallà, das heutige Marsala, verschlagen, wo er einen einheimischen Wein serviert bekam der den bei den Briten so beliebten Erzeugnissen aus dem spanischen Jerez oder von der portugiesischen Insel Madeira nicht nachstand. Nach längeren Vorbereitungen und einer dreijährigen Versuchsphase konnte Woodhouse seine erste Lieferung nach England verschiffen.
Der Durchbruch kam im Jahr 1800 in Form einer Staatsorder durch Admiral Nelson, der für seine Flotte eine jährliche Lieferung von 500 Fässern bestellte. Obwohl Trauben zunächst im Überfluss und zu günstigen Preisen zu haben waren, sorgte der große Erfolg des Weins für ernsthafte Nachschubprobleme. Woodhouse lieh daher den Weinbauern das nötige Kapital für die Anlage neuer Rebflächen und erhielt im Gegenzug langfristige Preisgarantien für Trauben und Grundweine.

Natürlich blieb das Beispiel nicht ohne Nachahmer. 1812 eröffnete Benjamin Ingham unweit der Woodhouse-Kellerei in Marsala einen neuen, größeren und technisch besseren ausgestatteten Betrieb, und 1833 nahm sich mit Vincenzo Florio schließlich auch ein sizilianischer Unternehmer des einträglichen Geschäfts an. Über einen Strohmann erwarb er Gelände zwischen den Kellereien von Woodhouse  und Ingham und gründete hier seinen eigenen Betrieb zur Produktion eines Weins, der in der Gründungsurkunde immer noch als ?nach Madeira-Art" umschrieben wurde.
Ein Jahrhundert lang konnte sich Siziliens Weinindustrie in der rasanten Erfolgsgeschichte des Marsala sonnen, dann kam im 20. Jahrhundert der dramatische, wenn auch langsame Niedergang. Die Reblauskatastrophe, neue Konkurrenz in Form von Weinen, die vor allem aus der britischen Kolonie Australien kamen - im heißen Landesinnern waren große Rebflächen für die Produktion von angereicherten Weinen entstanden -, und die übliche Spirale von Überproduktion und Preisverfall sorgten dafür, dass sich die Qualität des Marsala unaufhaltsam nach unten bewegte. Bald kannte man auf europäischen Märkten nur noch die aromatisierten Varianten des einst so noblen Getränks  - darunter einen mit Eigelb versetzten Marsala all`uovo -, und die fanden letztlich kaum noch Abnehmer.

Erst die 1980er Jahre sahen wieder vorsichtige, mühevolle Versuche einzelner Winzer wie Marco de Bartoli mit seinem Vecchio Samperi, das Prestige des Marsala alten Stils wiederherzustellen. Viel mehr als ein halbes Dutzend Gefolgsleute hat er allerdings nicht um sich scharen können, zumal sich das Interesse der Weinwelt zunehmend in Richtung der trockenen Weiß- und Rotweine der Insel entwickelte. Heute wird qualitativ hochwertiger Marsala von einer Hand voll Kellereien in diversen Stilrichtungen hergestellt - und über die Marsala-Entgleisungen breitete man den Mantel des Vergessens. Die interessanten Produkte tragen die Typenbezeichnungen Fine, Superiore, Vergine  oder Vergine Stravecchio. Es sind Weine, die bis zu 18 Volumenprozent Alkohol aufweisen und vier bis zehn Jahre im Fass reifen, ehe sie vermarktet werden. Von bernsteingelber oder -brauner Farbe, entwickeln sie meist üppige Honigaromen oder das typische Rancio sherryähnlicher Weine und eignen sich als Aperitif wie als Dessertbegleitung. Die Besten zeigen eine so erstaunlichen Aromenvielfalt, dass der weiterhin schlechte Ruf des Marsala unverständlich erscheint. 

(entnommen aus dem vorzüglichen und umpfangreichen Werk "Wein" von André Dominé aus dem Jahre 2000, in Teilen zitiert)

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