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 Das Vinho-Verde-Gebiet im äußersten...

Vinho Verde

Das Vinho-Verde-Gebiet im äußersten Nordwesten Portugals, zwischen Porto und der spanischen Grenze und flächenidentisch mit dem Minho, der nach der Landschaft benannten Landwein-Bezeichnung, ist das größte DOC-Gebiet Portugals und eines der größten der Welt. Offiziell registriert sind zwar nur 58 000 Hektar, aber Schätzungen der Vinho-Verde-Kommission rechnen mit eher 70 000 Hektar. Daraus entstehen pro Jahr 600 00 bis über 2 000 000 Hektoliter Wein (inzwischen mehr weiß als rot), von denen rund 10 000 000 Liter jährlich in den Export gehen und diesen prickelnden, so einzigartigen, erfrischenden, säuerlichen und leichten Wein auch im Ausland bekannt und beliebt machen.

Im Minho, dem Herzland Portugals, der ehemaligen Grafschaft Portocale, hat Alfonso Henrique von Guimarraes einst die erste Nation ausgerufen. Der Minho besitzt nur 9 Prozent der Landesfläche, aber 20 Prozent der  Bevölkerung. Daraus ist eine beispiellose, intensive Kleinbetriebslandschaft entstanden, in der der Wein Ausdruck der Vegetationskraft dieses mit 1 500 bis 2 000 mm regenreichsten und daher grünsten Gebietes Portugals ist. Die Reben klettern an Straßenrändern die Bäume bis zu 10 Meter hoch, auch das nicht zufällig, sondern zur Nutzung. Auf Wiesen und Weiden, wo Kühe grasen, wachsen sie gezielt an Bäumen, an Stangen oder an Drahtsystemen mit Granitpfählen und an Holzleisten entlanggeführt. Die schon von den Römern bekannte Pergola ist allgegenwärtig, spendet Schatten auf kleinen Wegen, Pfaden und Alleen, auf denen in der Höhe Trauben gedeihen.
Trotzt der überwiegend kargen sandigen Granitböden (nur vereinzelte Schieferenklaven bieten bessere Bedingungen) , mit oft nur wenigen Dezimetern Bodenkrume ist der Minho ein einziger grüner Garten, daher wohl auch der Name des Weines. Dieses Wunder im atlantischen Norden Portugals haben die Minhoten auf engstem Raum als ganz eigene intensive Kultur geschaffen, deren Basis eine oft archaische Selbstversorgung ist, die erst in den letzten durch das Aufkommen zahlloser meist ebenfalls kleiner Schuh- und Textilfabriken etwas abgenommen hat. Einst gab es hier schon eine große Weintradition: der Wein von Macao gilt als erster nachgewiesener Exportwein im Mittelalter, viele reiche Quintas  überall im Minho sind Belege des damaligen Profits. Vor allem das strenge Gesetz Salazars, der 1930 das Anlegen von Weinbergen verbot und nur noch als Randbegrenzung zuließ, unterbrach diese Tradition. Gleichzeitig förderte dies die Improvisationskunst der Bewohner, aber auch die Aufteilung und Zerstückelung der Grundstücke. Weinberge zu zählen oder gar zu vermessen, wo Reben überall wachsen, ist eine müßige Aufgabe in einer Region, wo 100 000 Landwirte registriert sind und 90 000 davon sich als Winzer fühlen, auch wenn die Reben nur die Randbegrenzung von zwei, drei kleinen Grundstücken ausmachen und gerade mal ein Fässchen Wein füllen. Es ist eine eigenartige Mischung aus Intensität und Extensität, intersivster Bodennutung, aber extensivsten Rebwachstums. Es gibt alte Reben mit baumdicken Stämmen und armdicken Cordons, die sich mit Hilfe von Drähten und Stützpfeilern über 200 und mehr Quadratmeter erstrecken können und 10, 20 Kilogramm reife kleine Trauben erbringen könne. Daraus entsteht der typische Verde, der wie kein anderer Wein Portugals und auch der Welt oft Schwierigkeiten hat, den Mindestalkohol von 8,5 Volumenprozent zu erreichen. Und doch ist dies Schwäche gleichzeitig eine Stärke. Der saure rote Verde ist mit seinem herben Geschmack und seiner Leichtigkeit im Grunde der einzige echte Rotwein für den Sommer, schmeckt sogar kühl, wird aber leider fast nur im Inland getrunken, weil niemand ihn als Rotwein versteht. In einer dieser typischen kleinen Kneipen, wo der saure schwarzlilarote Vinho Verde weißschäumend aus großen weißen Porzellanschalen gegen den Durst getrunken wird, hängt denn auch liebevoll eingerahmt ein altes Stück Pergament. Darauf steht ein Zitat des berühmten Chemie-Professors und Weinexperten António Augusto de Aguiar aus dem Jahre 1876, das den Vinho Verde und seine Wirkung perfekt beschreibt: ?Vinho Verde ist der kurioseste aller Weine. Er ist kurios, originell, jung, erfrischend ... . Er macht nicht betrunken. Nur deshalb mag ich ihn. Er weiß die Intelligenz zu schätzen."

Das Urteil mag für den roten Vinho Verde gegolten haben, der damals wie auch noch vor wenigen Jahrzehnten, die Landschaft zu 90 Prozent beherrschte. Im Wesentlichen trifft es aber auch den Kern des weißen Verde, der seit dem Aufhebendes Weinbergpflanzungsverbotes eine beispiellose Karriere als leichter sprudelnder Modewein gemacht hat. Er war das Vorbild für Mateus Rosé, denn Verde sprudelt im Frühjahr und Sommer auf natürliche Weise, von der zweiten Gärung, die er bei zunehmenden Temperaturen spontan erlebt. Dies wurde von großen Markenweinkellereien perfektioniert und in Mengen auf die Flasche gebracht, heute meist mit dem Zusatz von Kohlensäure und etwas Restsüße. Casal Garcia von der Quinta da Aveleda, Gatao von Borges, Gazela von SOGRAPE sind heute Weltmarken und verkaufen mehrere Millionen Flaschen. 25 andere Kellereien kämpfen ebenfalls um Marktanteile in dem süffigen Leichtweinsegment, sorgen dafür, dass auch er letzte Kleinwinzer entweder über Traubenabgabe oder via Genossenschaft seinen vinho vermarktet bekommt, und zwar in der Bocksbeutel-, der Bordeaux- oder Schlegelflasche oder anderen Sonderformen. Der kellertechnische Standard gerade der größten Marken ist recht hoch, der Geschmack im Allgemeinen akzeptabel und erfrischend, wenn man ein unkompliziertes Sommergetränk und nicht  anspruchsvollen Wein sucht. Selbst im Billigbereich gibt es süffige saubere Weine, aber auch grob dünnliche und aufdringlich schaumige Versionen.

Wenngleich auch einige der großen Kellereien sich neben ihren Massenmarken seit Jahren mit Erfolg um exzellente trockene Verdes bemühen und Häuser wie SOGRAPE, Quinta da Aveleda und Solouro sogar die rare und teure Spezialität Alvarinho abfüllen, ist die eigentliche Revolution auch im Vinho Verde noch früher als anderswo in Portugal das Aufkommen der produtores-engarrafadores, der Weingüter, die ihren Wein selbst abfüllen und vermarkten. Bevorzugt hergestellt wird ein klassisch trockener Wein, der weniger und zunehmend nur natürliche Kohlensäure enthält, allerdings geschieht dies nicht einheitlich, es gibt auch Erzeuger mit lieblich-süßen und kohlensäurescharfen Weinen. Höchstens fünf dieser Quintas gab es Ende der 1970er Jahre, vor einigen Jahren waren es schon beinah 200, deren historische Wurzeln sich oft bis ins Mittelalter zurückverfolgen lassen. Sie bieten als casas antigas noble Zimmer an und sind damit attraktive Stationen auf einer Reise durch diese in jeder Hinsicht kulturträchtige Region.

Motor einer erst Anfang der 1980er Jahre verstärkt einsetzenden Bewegung zum Weingut und zu höherer Qualität wie auch besseren Vermarktung wurde die 1985 gegründete APEVV, die Assoziation der produtores-engarrafadores, die gleichzeitig Keimzelle der heutigen nationalen Selbstvermarktungsorganisation FENAVI ist. In ihr sind viele der besten und besseren Quintas vereint. 150 Güter gibt es inzwischen insgesamt. Ständig kommen neue hinzu, aber es geben auch viele wieder auf, da der Vertrieb indem von großen Distributeuren beherrschten Portugal für kleine unbekannte Weingüter ein Problem ist und die Selbstvermarktung im Zuge eines beginnenden Weintourismus noch sehr in den Anfängen steckt. Zu viel Vermarktungsoptimismus nach der Anpflanzung und gewiss auch die schwankende Qualität hat manchen Winzer wieder zur Traubenproduktion zurückkehren lassen.
Den wahren Vinho Verde, einen einzigartig herben, stahligen Wein, der wie trockene Saar-oder Mosel-Rielinge konträr zum Massengeschmack liegt (der es eher mild und trocken zugleich mag), findet man jedoch bei den Quintas, und man kann es nicht genug betonen, dass diejenigen, die Säure mögen, den Mund davon lassen sollten. Auch die besten gut gemachten reifen Verdes mit Alkoholwerten nahe der Oberschwelle von 11,5 Volumenprozent schmecken im Abgang mehr oder weniger dezent sauer. Das ist für den Liebhaber von Krustentieren, der seinen Durst löschen möchte, nicht negativ, sondern positiv. Verde ist kein Wein zum Probieren und Sinnieren. Es ist ein Wein, der erst beim Trinken Appetit macht.

(entnommen aus dem vorzüglichen und umfangreichen Werk ?Wein" vom André Dominé aus dem Jahre 2000, in Teilen zitiert)

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