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 Wer nach Seattle, in die lebendige Hauptstadt...

Washington State

Wer nach Seattle, in die lebendige Hauptstadt des Staates Washington, kommt und die üppig begrünte Landschaft am Puget Sound kennen lernt, wird sich kaum vorstellen können, dass Washington nach Kalifornien die bedeutendste Quelle für Weine ist. Gleichwohl werden auf den Inseln des Fjords auf den etwa 20 Hektar Sorten wie Müller-Thurgau, Madeleine Angevine, Siegerrebe und Pinot angebaut, die von vier wineries vergoren werden. Das milde und zugleich feuchte Pazifikklima lässt in der Appellation Puget Sound nur nördlichste und Hauptsächlich weiße Varietäten zu. Wenn dennoch in Woodinville, wenige Kilometer außerhalb von Seattle, mit Château Sainte-Michelle und Columbia Winery die beiden bedeutendsten Weinkellereien des Bundesstaates, darüber hinaus drei weitere Betriebe sowie seit 1994 auch die exquisiten DeLille Cellars angesiedelt sind, so hat dies rein kommerzielle Gründe. Denn 99 Prozent der Trauben wachsen weit östlich hinter den hier auf nahezu 4 400 Meter ansteigenden Cascade Mountains, an denen die regenschweren Wolken des Pazifiks scheitern. Dahinter erstreckt sich das zweite, wüstenähnliche Columbia Valley, die größte Appellation Washingtons. Einzig den Wassermengen des Columbia River ist es zu verdanken, dass in diesem Gebiet überhaupt Weinbau betrieben werden kann. Es umfasst die beiden weiteren bedeutenden Appellationen, das Yakima Valley und das Walla Walla Valley. Daneben haben sich fünf Unter-Appellationen aufgrund ihrer besonders günstigen Bedingungen einen Namen gemacht: Red Mountain - Benton County für Cabernet; Wahluke Slope, Royal Slope, Cold Creek für Cabernet, Chardonnay und andere Sorten; Lower Snake River für Merlot, Sauvignon Blanc und Sémillon; Canoe Ridge für Merlot, Cabernet und Chardonnay sowie Southwest Washington für Pinot Noir und Chardonnay. 

VON WASSERRECHTEN UND WINTER KILLER 

Landwirtschaft wird in Columbia-Tal noch nicht lange betreiben. Erst seit 1930 war man auf die Möglichkeiten aufmerksam geworden, die in der Region ruhten, und hatte damit begonnen, sie gezielt durch Bewässerungssysteme zu beleben. Die ersten Rebpflanzungen wurden von den Vorgängern des Château Sainte Michelle schon seit 1951 im Yakima-Tals angelegt, die erst offizielle Abfüllung kam dann 1967 auf den Markt. In den 1970er Jahren folgen noch weitere Gründungen, sodass man 1981 bereits 19 wineries aufweisen konnte. Das nächste Jahrzehnt brachte neuerlichen Zuwachs, der auch in den 1990er Jahren nicht abebbte. Mittlerweile zählt man mehr als 100 wineries, und die Ausweitung der Weinbergflächen ist geradezu spektakulär. Mehr als 8 000 Hektar stehen gegenwärtig unter Reben, und noch immer gibt es Farmer, die sich vom Weinbau bessere Einkünfte erhoffen. Die weitere Entwicklung der Region wird von ihnen abhängen, denn nur alteingesessene Farmer besitzen Wasserrechte, und neue werden vom Staat Washington nicht erteilt. Ohne künstliche Bewässerung können in dem trockenen Inlandklima jedoch keine Reben gedeihen. Abgesehen von den großen etablierten Weinunternehmen, die in ausgedehnte Güter investierten, liefern insgesamt mehr als 300 Farmen den größte Teil der Trauben. Erfolgreiche wineries  sind dazu übergegangen, den interessierten Farmern fachliche und finanzielle Unterstützung anzubieten, um dann Partnerschaften mit ihnen einzugehen. Auf diese Weise sichern sie sich für die Zukunft ihr Lesegut und können durch die Teilhaberschaft zugleich Einfluss nehmen auf die Qualität der Trauben. Obwohl es auch eine Anzahl von boutique wineries gibt, ist der Weinbau hier von industriellem Zuschnitt und wird maschinell betrieben.

Die mageren Böden sind gut durchlässig. Ihr Untergrund besteht aus Basalt, der sich an der Oberfläche zersetzt und mit abgelagertem Sand, Kies und Lehm vermischt ist. Abgesehen vom östlichsten Teil, wo über die Flussniederung landeinwärts dringende Meereseinflüsse die Temperaturen senken - weshalb Pinot Noir gut gedeiht -, ist das Klima des Columbia Valley von Trockenheit, wenig Wolkenbildung und hoher Lichtintensität bestimmt. In seinen wärmsten Teilen steigen die Temperaturen im Sommer auf  32° - 40° C an, doch nachts kühlt es stark ab, sodass die Trauben dennoch eine lange Reifephase durchlaufen, die dem aromatischen Ausdruck zugute kommt. Von Ende September bis Ende Oktober findet die Hauptlese statt. Obwohl diese Bedingungen für den Weinbau durchaus günstig sind, kennen die Farmer einen Feind, der ihnen immer wieder zu schaffen macht: den winter killer . Gemeint sind damit sporadisch auftretende Fröste, die bis zu -25°C und mehr betragen können und denen das Holz der Weinstöcke nicht standhält. Dadurch kommt es in manchen Jahrgängen, wie 1991 und 1996, zu erheblichen Ertragseinbußen. Glücklicherweise besteht in Washington keine Reblausgefahr, weshalb nur wurzelechte Reben gepflanzt werden. So schneiden die Farmer erfrorene Stöcke eben mit Motorsägen über den Boden ab. Wenn im kommenden Frühjahr der Wein neu austreibt, schneidet man auf zwei Triebe zurück. Im folgenden Jahr liefern sie bereits eine kleine Ernte und im dritten Jahr nach dem Frost ganz normalen Ertrag. Um Frostschäden vorzubeugen, pflanzt man gerne in Flussnähe oder auf Südhänge, weil sie im Winter wärmer sind. Manche wineries versuchen Frostausfälle auch durch einen Verschnitt mit dem vorangegangenen Jahrgang auszugleichen. 

MERLOT, MERITAGES UND FEINE WEISSWEINE 

Verschnitte sind in Washington, wo man besonders gute Erfolge mit Bordeaux-Sorten erzielt, ohnehin überaus beliebt. Das gilt nicht nur für die Vielzahl der Assemblagen, die man bei den Sortenweinen von Cabernet und Merlot im gesetzlich verankerten Rahmen von 25 Prozent durchführt, es gilt in besonderem Maß für die von vielen wineries angebotenen Meritages, die Merlot und Cabernet auf ebenbürtige Weise miteinander vermischen. Merlot erfreut sich großer Beliebtheit und ist, vor Cabernet Sauvignon, die führende rote Rebsorte in Washington. Bedauerlicherweise hat das manchmal schlechtes Lesegut und vegetale, raue, dünne Weine zur Folge. Gute Merlots sind dagegen sehr voll, samtig, reif mit beeriger Frucht und angenehmer Würze. Wirklich überzeugende Cabernets zeigen in Washington eine intensive saftige, nicht selten an schwarze Kirschen und Brombeeren erinnernde Frucht, die bei Überreife dann zu Backpflaume und Kompott tendiert. Während gerade die Neulinge oft sehr ausgewogenen und mit Finesse in Barriques ausgebaute Weine präsentieren, neigen die renommierten winemakers der ersten Stunde dazu, ihre Rotweine mit zu viel und zu grobem Holz zu versehen.

In den letzten Jahren erfahren auch Syrah und Sangiovese zunehmende Beachtung. Eine Kuriosität bleibt der fruchtbetonte, im Charakter eher leicht Lemberger. Obwohl unter den weißen Rebsorten Chardonnay führend ist, werden die besten Weißweine aus Sémillon und Sauvignon gekeltert, die mit intensiven frischen Aromen von Zitrone, Guave, Melisse, viel Nervosität und eleganter Würze begeistern können. Außerdem kann Riesling, die noch immer zweitwichtigste weiße Rebsorte, hier sehr rassige Resultate ergeben. 

(entnommen aus dem vorzüglichen und umfangreichen Werk "Wein" vom André Dominé aus dem Jahre 2000, in Teilen zitiert)

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